Zwei Männer reichen sich über einen Tisch hinweg die Hände

Strafrechtliches Schweigerecht vs. Steuerrechtliche Mitteilungspflichten

Besteuerungs- und Strafverfahren sind in vielen Fällen eng miteinander verzahnt. Steuerliche und steuerstrafrechtliche Ermittlungen lassen sich oftmals kaum voneinander trennen.

Die dadurch entstehende Problematik, wirft die Frage auf, welchen Vorschriften im Konfliktfall der Vorrang einzuräumen ist – den Regelungen der Abgabenordnung (Besteuerungsverfahren) oder denen der Strafprozessordnung (Strafverfahren)?

§ 393 AO regelt das Verhältnis des Strafverfahrens zum Besteuerungsverfahren. Nach der Vorschrift des § 393 Abs. 1 S. 1 AO richten sich die Rechte und Pflichten der Steuerpflichtigen und der Finanzbehörde im Besteuerungsverfahren und im Strafverfahren nach den für das jeweilige Verfahren geltenden Vorschriften.

Die Abgabenordnung geht prinzipiell von der Unabhängigkeit und Gleichrangigkeit der Verfahren aus, sodass der Steuerpflichtige auch im Falle eines parallellaufenden Steuerstrafverfahrens im Besteuerungsverfahren auskunfts- und mitwirkungspflichtig bleibt.

Eine Einschränkung dieser Annahme statuiert § 393 Abs. 1 S. 2 AO in Form der gesetzlichen Bestimmung, dass im Falle der Gefahr einer Selbstbelastung wegen einer Steuerstraftat oder –ordnungswidrigkeit steuerliche Zwangsmittel unzulässig sind.

Die Mitwirkung des Steuerpflichtigen im Steuerermittlungsverfahren ist nach der Einleitung eines Steuerstrafverfahrens damit nicht mehr erzwingbar – denn: niemand muss sich selbst belasten (nemo tenetur se ipsum accusare).

Das bedeutet, dass der Beschuldigte im Strafverfahren nicht an der Tataufklärung mitwirken muss und jegliche Aussage zur Sache verweigern kann. Das Recht des Beschuldigten, zum Tatvorwurf zu schweigen, gehört dabei zu den elementaren rechtsstaatlichen Prinzipien des Straf- und Bußgeldverfahrens. Niemand ist verpflichtet, an seiner eigenen Verurteilung mitzuwirken.

Über das Schweigerecht hinaus ist der Beschuldigte berechtigt, jede aktive Mitwirkung an seiner Überführung zu verweigern. Er ist daher auch nicht gehalten, Beweismaterial herauszugeben, weil es insofern keinen Unterschied machen kann, ob seine Überführung aufgrund von erzwungenen Aussagen oder durch erzwungene Vorlage von Urkunden ermöglicht wird. Der Beschuldigte hat ein Recht auf Passivität, er ist lediglich zur Duldung strafprozessualer Maßnahmen verpflichtet.

Das Schweigerecht und die Mitwirkungsfreiheit sind einzelne Ausprägungen des allgemeinen und umfassenden Rechts, sich nicht selbst belasten zu müssen. Diesem Recht kommt Verfassungsrang zu, da es aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 III GG) und dem Recht auf Achtung vor der Menschenwürde ab (Art. 1 I, Art. 2 I GG) abgeleitet wird. Aus Art. 2 I GG i. V. m. Art. 1 GG folgt, dass es unzumutbar und mit der Würde des Menschen unvereinbar wäre, wenn ein Zwang dahingehend ausgeübt wird, durch eigene Aussagen die Voraussetzung für eine strafgerichtliche Verurteilung beibringen zu müssen.

Da die steuerlichen Mitwirkungspflichten jedoch fortbestehen, kann es dann, wenn den zu beurteilenden Sachverhalten sowohl steuerrechtliche als auch strafrechtliche Bedeutung zukommt, zu einem Konflikt mit dem Schweigerecht des Beschuldigten kommen.

Die strafrechtliche Belastungsfreiheit und die steuerliche Auskunfts- und Mitwirkungspflicht treten dort, wo der Steuerpflichtige bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten Informationen preisgeben muss, die Anhaltpunkte für von ihm begangene Straftaten bieten, in Widerspruch. Es entsteht eine Zwangslage, da der Steuerpflichtige nicht von seiner Selbstbelastungsfreiheit Gebrauch machen kann, ohne seine Pflichten aus dem Besteuerungsverfahren zu verletzen.

Da der Steuerpflichtige unter Beachtung seines verfassungsrechtlichen geschützten Rechts, nicht an seiner eigenen Überführung mitwirken zu müssen, nicht zugleich dazu verpflichtet werden kann, seinen steuerlichen Auskunfts- und Mitwirkungspflichten nachzukommen, entsteht ein deutliches Spannungsverhältnis. Dieses Spannungsverhältnis, welches es zu lösen gilt, wirft die Frage auf, welchem Verfahrensgrundsatz in Konfliktfällen, Vorrang eingeräumt werden muss.

§ 393 AO ist auf die Lösung eben dieses Konflikts zwischen der Selbstbelastungsfreiheit im Strafrecht und den gesetzlichen Auskunfts- und Mitwirkungspflichten im Steuerrecht gerichtet.

Dem Steuerpflichtigen wird insofern ein punktuelles Schweigerecht zugestanden, d. h. seine steuerlichen Mitwirkungspflichten bleiben zwar auch im Falle der Gefahr einer Selbstbezichtigung bestehen, sie können jedoch nicht mehr mit steuerlichen Zwangsmitteln erzwungen werden.

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