IS-Rückkehrerin versteckt ihr Gesicht hinter einem Aktenordner

14 Jahre Haft für IS-Rückkehrerin Jennifer W. – Die Bedeutung des Weltrechtsprinzips

Zuletzt gingen erneut Meldungen zum Fall der IS-Rück­keh­rerin Jennifer W. durch die Medien:

Nachdem die Bundes­an­walt­schaft gegen das erste Urteil des Ober­lan­des­ge­richt München (Verur­tei­lung zu 10 Jahren Frei­heits­strafe) vom 25.10.2021 (OLG München, Urt. v. 25.10.2021 — Az. 8 St 9/18) erfolg­reich Revi­sion einlegte und der Bundes­ge­richtshof das Urteil im Straf­aus­spruch weitest­ge­hend aufhob und die Sache zurück­ver­wies (Beschl. v. 09.03.2023 — 3 StR 246/22), wurde die Ange­klagte nunmehr mit Urteil des OLG München vom 29.08.2023 zu einer Frei­heits­strafe von vier­zehn Jahren verur­teilt.

Der BGH stellte fest, dass das OLG verkannt habe, dass sich die Verlet­zung mehrerer Straf­ge­setze durch eine Tat grund­sätz­lich straf­schär­fend auswirke. Weiterhin wurde es für bedenk­lich ange­sehen, dass das OLG die menschen­ver­ach­tenden Beweg­gründe und Ziele der Ange­klagten unbe­rück­sich­tigt gelassen hat, die sich nach den Urteils­fest­stel­lungen aufdrängten.

Die ursprüng­lich aus Lohne in Nieder­sachsen stam­mende Jennifer W., schloss sich im Jahre 2014 dem IS an und reiste Ende August desselben Jahres nach Syrien. Im Juni 2015 heira­tete sie den eben­falls später ange­klagten Taha Al J., mit dem sie wenig später in den Irak zog und dort zwei Jesi­dinnen, Mutter und Tochter, als „Haus­skla­vinnen“ in Gefan­gen­schaft hielt. Die beiden waren kurz zuvor in Syrien von Taha Al J. „gekauft“ worden.

Anfang August 2015 band Taha Al J. das fünf­jäh­rige Mädchen an ein Außen­gitter eines Fens­ters im Hof seines Hauses. Das Kind konnte sich nicht mit den Füßen abstützen, hing also am Gitter, und war über lange Zeit direkter Sonnen­ein­strah­lung und starker Hitze unge­schützt ausge­setzt.

Infol­ge­dessen verstarb das Mädchen. Jennifer W. schritt während des Gesche­hens nicht ein, obwohl sie die Lebens­ge­fahr für das Kind erkannte.

Am selben Tag oder kurz danach hielt Jennifer W. der um ihre Tochter trau­ernden Mutter eine Pistole an den Kopf und drohte ihr, sie zu töten, wenn sie nicht aufhöre zu weinen.

Das OLG München stütze für die Beur­tei­lung der Straf­bar­keit unter anderem auf das Völker­straf­recht und verur­teilte Jennifer W. mitunter wegen zweier Verbre­chen gegen die Mensch­lich­keit durch Verskla­vung (in einem Fall mit Todes­folge) und wegen Beihilfe durch Unter­lassen zum Versuch des Verbre­chens gegen die Mensch­lich­keit durch Tötung und des Kriegs­ver­bre­chens gegen Personen durch Tötung.

Warum können Personen vor einem deut­schen Gericht für Straf­taten belangt werden, die sie im Ausland begangen haben? Und warum wird die Verur­tei­lung in diesem Zusam­men­hang auf das Völker­straf­recht gestützt?

Nach §§ 3 und 9 StGB gilt Folgendes: Für Taten, deren Hand­lung und/oder Erfolg in Deutsch­land statt­finden, gilt das deut­sche Straf­recht (sog. Terri­to­ri­a­li­täts­prinzip).

Die darauf­fol­genden Normen legen bestimmte Ausnahmen fest, in denen Vorschriften des StGB aufgrund beson­derer Umstände auch dann Anwen­dung finden, wenn der Bege­hungsort nicht in der Bundes­re­pu­blik liegt. Von einer Anwend­bar­keit des Völker­straf­rechts ist dort jedoch keine Rede.

Die Antwort findet sich im Völker­straf­ge­setz­buch (VStGB) selbst, genauer gesagt im sog. Welt­rechts­prinzip, das unter anderem in § 1 des VStGB seine Ausprä­gung findet: Das Völker­straf­ge­setz­buch findet auch dann Anwen­dung, wenn die entspre­chenden Taten im Ausland begangen werden und keinen Bezug zum Inland aufweisen.

Das bedeutet: Selbst dann, wenn Jennifer W. keine deut­sche Staats­an­ge­hö­rige wäre, hätte man sie für die von ihr im Irak began­genen Taten vor einem deut­schen Gericht anklagen können.

Hinter­grund des deut­schen Völker­straf­ge­setz­buchs ist die Umset­zung der Vorgaben des sog. Römi­schen Statuts – eines völker­recht­li­chen Vertrags aus dem Jahr 2002, der inzwi­schen von 123 Staaten rati­fi­ziert wurde.

Dem Bedürfnis, Straf­taten ab einer bestimmten Größen­ord­nung auch ohne Inlands­bezug inter­na­tional und indi­vi­duell verfolgen zu können, wurde in vertrag­li­cher Form erst­mals im Rahmen der Nürn­berger Prozesse in den Jahren 1945/46 Rech­nung getragen; seitdem entwi­ckelt sich das Völker­straf­recht konti­nu­ier­lich weiter.

So konnten unter anderem die Verbre­chen im Zusam­men­hang mit den Jugo­sla­wi­en­kriegen und dem Völker­mord in Ruanda straf­recht­lich inter­na­tional verfolgt werden.

Wie wert­voll solche völker­recht­li­chen Verträge und ihre Ausprä­gungen im natio­nalen Recht sind, zeigt sich im Fall um Jennifer W. erneut sowohl auf rechts­staat­li­cher als auch auf indi­vi­du­eller Ebene:

Zum einen gelingt es, die zahl­rei­chen Verbre­chen des IS an der jesi­di­schen Minder­heit im Irak unab­hängig von Tatort oder Staats­an­ge­hö­rig­keit der Betei­ligten konse­quent zu ahnen.

Zum anderen besteht für die Mutter des getö­teten Mädchens, die im Prozess in München als Neben­klä­gerin auftreten konnte, durch den Straf­pro­zess zumin­dest eine gewisse Möglich­keit, ihrem Leid Ausdruck zu verleihen und das Erlebte in gewissem Umfang für sich aufzu­ar­beiten.

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