„From the river to the sea“ – Zwischen Meinungsfreiheit und politischer Straftat
Während die Diskussion um die strafrechtliche Einordnung der rassistischen Gesänge im Pony-Club auf Sylt noch andauert (Wir berichteten hierzu bereits: Rassistische Parolen auf Sylt – Strafbarer Rassismus?), entzündet sich nun eine weitere Debatte rund um das Thema Volksverhetzung.
Auch bei dieser Debatte geht es um Antisemitismus, jedoch in einem völlig anderen Zusammenhang. Schon seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel vom 07.10.2023 gibt es sowohl in Europa als auch in Nordamerika zahlreiche Demonstrationen und Proteste von Menschen, die sich im Konflikt mit den Palästinensern solidarisieren.
Besondere mediale Aufmerksamkeit erfahren dabei sog. „Gaza-Protestcamps“ oder „Palästina-Protest-Camps“, die vor allem an Universitäten stattfinden. Auch in Deutschland haben Studierende vor einigen Monaten begonnen, solche Palästina-Protest-Camps zu errichten. Unter den zahlreichen Plakaten fällt immer wieder ein bestimmter Schriftzug auf: „From the river to the sea“.
Und genau dieser Satz ist nun Gegenstand einer strafrechtlichen und verfassungsrechtlichen Auseinandersetzung. Während die einen sich auf die Meinungsfreiheit berufen, stellt sich die Äußerung für die anderen als strafbare Volksverhetzung dar.
Doch was bedeuten dieser Slogan eigentlich genau?
Eigentlich ist er eine Abkürzung für die Aussage „From the River to the Sea, Palestine will be free“ („Vom Fluss bis zum Meer, Palästina wird frei sein“). Die politische Parole bezieht sich auf das Gebiet zwischen dem Jordan („River“) und dem Mittelmeer („Sea“). Zu diesem Gebiet gehören sowohl Israel als auch das Westjordanland und der Gazastreifen.
Nun gibt es durchaus verschiedene Möglichkeiten, die Äußerung zu deuten: einerseits wird die Äußerung als bloßer Wunsch nach Frieden und Gleichberechtigung zwischen den Bevölkerungsgruppen im Territorium zwischen Jordan und Mittelmeer verstanden. Andererseits wird die Äußerung als eine Aufforderung zur gewaltsamen Auslöschung Israels angesehen – diese Deutung wird insbesondere damit begründet, dass auch die Terrororganisation Hamas den Ausspruch nutzte.
Je nach Interpretation der Äußerung wird sie nicht als von der Meinungsfreiheit gedeckt gesehen und es kommt eine Strafbarkeit wegen verschiedener Straftaten, darunter wegen Volksverhetzung, in Betracht.
Aufgrund der großzügigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Meinungsfreiheit (Art 5 Art. 1 S. 1 Var. 1 GG), wurden Menschen, die diese Parole vor dem 07.10.2023 nutzten, ganz überwiegend von einer strafrechtlichen Verfolgung verschont.
Anders sieht das seit dem Angriff der Hamas aus, der die Diskussion um die Parole neu entfachte. Ganz besonders hitzig wurde die Debatte, seitdem nun auch in Deutschland immer öfter Gaza-Protestcamps errichtet werden.
Im Einzelnen kommt eine Strafbarkeit nach § 130 StGB wegen Volksverhetzung, nach § 111 StGB wegen eines Aufrufs zu Straftaten, nach § 140 StGB wegen Billigung schwerer Straftaten und wegen des Verwendens von Kennzeichen terroristischer Organisationen gem. §§ 86 Abs. 2, 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB in Betracht.
Wann und vor allem welche Delikte tatsächlich einschlägig sind, ist vor allem seit letztem Jahr zwischen den Gerichten hoch umstritten.
Zuletzt hatte das Oberverwaltungsgericht (OVG) Bremen zwar eine Strafbarkeit nach § 111 StGB, § 130 StGB und § 140 StGB mit der Begründung abgelehnt, dass eine gewaltfreie Interpretation der Parole nicht ausgeschlossen werden könne. Das Gericht hat hier also nach dem altbekannten Grundsatz „in dubio pro reo“ entschieden.
Jedoch wurde eine Strafbarkeit nach §§ 86, 86a StGB bejaht, da eine Variante der Parole in der Organisationsverfassung der Hamas zu finden sei.
Diese Sichtweise ist maßgeblich auf ein Betätigungsverbot zurückzuführen, welches das Bundesinnenministerium (BMI) am 02.11.2023 gegen die Hamas verfügt hat. Die Verfügung erstreckt sich auch auf Kennzeichen der Hamas und unter anderem eben auch auf die Parole „From the river to the sea“. In diesem Rahmen wurde explizit auf eine Strafbarkeit nach §§ 86, 86a StGB hingewiesen.
Anders wurde die Frage nach einer Strafbarkeit wiederum vom LG Mannheim beurteilt; die Richter stellten explizit klar, in ihrer Entscheidung nicht an das BMI gebunden zu sein und machte sich daran, den Slogan selbst zu interpretieren. Hierzu lasen sie die Charta der Hamas sogar auf Arabisch und kamen zu dem Ergebnis, dass die Forderungen, die durch die Organisation aufgestellt werden, nicht wortgleich mit der Parole „From the river to the sea, Palestine will be free“ sei. Außerdem würde das Skandieren der Parole unter die Ausnahme des § 86 Abs. 4 StGB fallen, wonach eine Strafbarkeit ausscheidet, wenn „die Handlung der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung oder Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient“. Wie die Strafverfolgungsbehörden auf die Entscheidung des LG Mannheim reagieren werden und wie sich die Diskussion um die Meinungsfreiheit in Rechtsprechung und Politik bezüglich dieser Parole entwickeln wird, bleibt abzuwarten. Bei ihrer Nutzung ist wohl bis zu einer endgültigen Entscheidung äußerste Vorsicht geboten.
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