Pressefreiheit - Strafrecht Göttingen

Pressefreiheit vs. Schutz des Strafverfahrens – Der Streit um die Verfassungsmäßigkeit des § 353d Nr. 3 StGB

Darf die Presse über laufende Ermittlungsverfahren aus internen Dokumenten zitieren oder diese sogar veröffentlichen?

Die Antwort lautet: nein. Zudem würde ein solches Handel nach der bisherigen Gesetzeslage ein strafbewehrtes Verhalten nach § 353d Nr. 3 StGB darstellen.

So bestimmt § 353d Nr. 3 StGB:

Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer die Anklageschrift oder andere amtliche Dokumente eines Strafverfahrens, eines Bußgeldverfahrens oder eines Disziplinarverfahrens […] im Wortlaut öffentlich mitteilt, bevor sie in öffentlicher Verhandlung erörtert worden sind oder das Verfahren abgeschlossen ist.

Nachdem die Bundesregierung vor Kurzem das Eckpunktepapier zur Reform des Strafgesetzbuchs vorgelegt hat (Die Reform des Strafgesetzbuchs: Ein Überblick), drängt sich nunmehr die Frage auf, ob nicht auch die Norm des § 353d Nr. 3 StGB aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden müsste.

Die Vorschrift sanktioniert die verbotene Mitteilung über Gerichtsverhandlungen und wurde eingefügt, um die Unbefangenheit von Verfahrensbeteiligten, namentlich der Laienrichter und Zeugen, zu gewährleisten.

Alle Dokumente, die ein konkretes Strafverfahren betreffen, müssen unter Verschluss gehalten werden, sodass keine Möglichkeit bestehen soll, schon vor Prozessbeginn Kenntnis der Akteninhalte (z. B. über die Medien) zu erlangen. Hiermit soll sichergestellt werden, dass die Verfahrensbeteiligten unvoreingenommen bleiben und vor allem die Erinnerungen von Zeugen nicht verfälscht werden.

Mittelbar soll die Norm damit auch den Beschuldigten schützen, indem sie die zu seinen Gunsten bestehende Unschuldsvermutung sowie sein Persönlichkeitsrecht wahren soll.

Eine Besonderheit des Straftatbestandes liegt in dessen Eigenschaft als sog. abstraktes Gefährdungsdelikt. Für die Strafbarkeit genügt die bloße Veröffentlichung von Dokumenteninhalten als solche, mithin das Bestehen der Gefahr einer Beeinträchtigung der Unbefangenheit der Verfahrensbeteiligten – das Vorliegen einer tatsächlichen Beeinträchtigung ist hingegen nicht erforderlich.

Die Norm des § 353d StGB wird seit ihrer Verabschiedung kritisiert, wobei sich die kritischen Stimmen aktuell mehren.

Zum einen bestehen erhebliche Zweifel an der kriminalpolitischen Effektivität des § 353d StGB – insbesondere deshalb, weil der Straftatbestand nur dann erfüllt sein kann, wenn die entsprechenden Verfahrensdokumente wortwörtlich veröffentlicht werden.

Zum anderen wirft ein aktueller, durchaus öffentlichkeitswirksamer Fall die Frage auf, ob die Norm verfassungsgemäß ist.

Problematisch erscheint hierbei die Vereinbarkeit der Norm mit dem Grundrecht der Pressefreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG.

Im August waren über die Internetplattform „FragDenStaat“ mehrere, im Rahmen von Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder der „Letzten Generation“ erlassene Beschlüsse des Amtsgerichts München sowie ein weiterer Beschluss des Landgerichts Karlsruhe aus dem Verfahren gegen einen Redakteur von Radio Dreyeckland veröffentlicht worden.

Dabei machte der Chefredakteur und Leiter des Projekts „FragDenStaat“, Arne Semsrott, Gerichtsdokumente anonym online zugänglich.

Aufgrund dieses Vorgehens ermittelt die Berliner Staatsanwaltschaft derzeit gegen ihn.

In einer von diesem veröffentlichten Stellungnahme räumt Semsrott die Vorwürfe gegen sich ein und beantragt selbst Anklageerhebung. Semsrott verfolgt damit eine Strategie, die vor dem Hintergrund dessen, dass er selbst Beschuldigter des Verfahrens ist, zunächst unverständlich erscheinen vermag.

Jedoch bezweckt der Beschuldigte mit seinem Vorgehen scheinbar ein übergeordnetes Ziel: So beantragte er im Rahmen seiner Stellungnahme gleichsam die Aussetzung des Strafverfahrens gem. Art 100 Abs. 1 GG zur Klärung der Verfassungsmäßigkeit von § 353d StGB.

Gem. Art. 100 Abs. 1 GG können Gerichte ein Verfahren aussetzen, wenn sie bei ihrer Entscheidungsfindung mit einer Norm konfrontiert werden, welche sie für verfassungswidrig erachten und vor diesem Hintergrund zunächst die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu der entsprechenden Vorschrift einholen.

Im Jahre 1985 hielt das Bundesverfassungsgericht die Norm des § 353d Nr. 3 StGB noch für verfassungsgemäß (BVerfG, Beschl. v. 03.12.1985 – 1 BvL 15/84, NJW 1986, 1239).

Allerdings haben in den letzten nunmehr beinahe dreißig Jahren einige Veränderungen in der Rechtsprechung stattgefunden. So hat der BGH beispielsweise in diesem Jahr die hohe Bedeutung des Art. 5 Abs. 1 GG im Zusammenhang mit § 353d StGB betont (BGH, Urt. v. 16.05.2023 – VI ZR 116/22).

Zusätzlich betonte der EGMR, dass Art. 10 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) auch das Recht umfasse, über Strafverfahren und die Arbeitsweise von Strafjustiz und Polizeibehörden frei zu berichten (EGMR NJW 2013, 3709 (3711)).

Ob § 353d Nr. 3 StGB der Gewährleistung dieses Rechts entgegensteht, scheint zumindest möglich.

Es besteht damit wohl durchaus die Möglichkeit, dass das Bundesverfassungsgericht die bislang herrschende Auffassung in Bezug auf die Verfassungsmäßigkeit des § 353d StGB ändert – falls ihm das Bundesjustizministerium unter Marco Buschmann nicht zuvorkommt und die Norm in das Eckpunktepapier mit den zu streichenden Straftatbeständen aufnimmt.

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