Vorwurf Nötigung § 240 StGB
Diverse Lebensbereiche werden auf verschiedenste Art und Weise durch den Straftatbestand der Nötigung berührt.
Als allgegenwärtiges gesamtgesellschaftliches Phänomen machen beispielsweise seit einiger Zeit die sogenannten „Klimakleber“ von sich reden. Fragen um die Rechtmäßigkeit der mit Straßenkleber vorgenommenen Straßenproteste beschäftigen daher seit Jahren die Gerichte. Dabei wirft das Spannungsverhältnis dieses Agierens zu der grundrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit des Art. 8 GG besonders bei Demonstrationen vielfältige Fragen auf. Wie auch bei den Klimaprotesten ist, wie auch bei den bundesweit stattfindenden Bauernprotesten oder LKW-Protesten, zu differenzieren, ob das Anliegen von primär einer unrechtmäßigen Straßenblockade mit der Folge einer strafbaren Nötigung nach § 240 StGB oder von einer rechtmäßigen Meinungskundgebung getragen war.
Doch auch abseits der Straße ist der Straftatbestand rechtspolitisch in Bewegung. So häufen sich etwa Diskussionen um die Strafbarkeit des sogenannten „Catcalling“. Da unangebrachte, sexuell übergriffige Bemerkungen derzeit weder nach den §§ 174 ff. StGB, die lediglich die körperliche sexuelle Belästigung unter Strafe stellen, geahndet werden können, noch – nach der Rechtsprechung des BGH – Absichtsbekundungen zum Geschlechtsverkehr die Schwelle einer beleidigungsrelevanten Ehrverletzung überschreiten, werden Stimmen laut, die eine Erweiterung des Nötigungstatbestands fordern. Dieser könnte das „Catcalling“ künftig erfassen und dadurch bestehende Strafbarkeitslücken schließen.
Darüber hinaus soll der Nötigungstatbestand fruchtbar gemacht werden, um Fällen der Organisierten Kriminalität bei Bedrohungen von Zeugen, Richtern und Sachverständigen Herr zu werden. Dieser Ansatz ließe sich durch eine Erweiterung der Regelbeispiele der Nötigung verwirklichen.
Nötigungsmittel: Eine Nötigung kann durch Gewalt oder durch eine Drohung mit einem empfindlichen Übel verwirklicht werden. Insbesondere durch letzteres wird grundsätzlich ein weiter Anwendungsbereich für den Nötigungstatbestand eröffnet.
Verwerflichkeitsprüfung: Die Nötigung ist nur rechtswidrig, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist. Damit muss die Rechtswidrigkeit im Rahmen der Nötigung positiv festgestellt werden.
Regelbeispiele: Ein besonders schwerer Fall der Nötigung kann vorliegen, wenn der Täter eine Schwangere zum Schwangerschaftsabbruch nötigt oder seine Befugnisse oder Stellung als Amtsträger missbraucht.
Polizeiliche Vorladung wegen dem Vorwurf der Nötigung erhalten
Sollten Sie eine polizeiliche Vorladung wegen einer Nötigung erhalten haben, ist es essenziell, voreilige Handlungen zu unterlassen. Sie sollten Ruhe bewahren und insbesondere nicht ohne vorherige anwaltliche Rücksprache der Vorladung zu einer Beschuldigtenvernehmung bei der Polizei nachkommen. Sie müssen als Beschuldigter in einem Ermittlungsverfahren wegen Nötigung gemäß § 240 StGB keine Aussagen vor der Polizei machen. Ob es in Ihrem konkreten Fall sinnvoll sein kann, der Vorladung nachzukommen, kann durch einen Rechtsanwalt für Strafrecht geprüft werden.
Der Straftatbestand der Nötigung kann in verschiedensten Fallkonstellationen auftreten. Während es Situationen geben mag, welche die Strafbarkeit wegen Nötigung für den Täter nicht augenscheinlich nahelegen und der Nötigungstatbestand dadurch teilweise das Stigma eines Bagatelldelikts erhalten kann, gibt es krasse Fälle – wie etwa die Drohung, das Kind einer anderen Person zu töten –, bei welchen jedermann das strafbewehrte Verhalten unmittelbar einleuchtet. Diesen höchst unterschiedlichen Fallkonstellationen kann durch den Strafrahmen der Nötigung, welche von einer Geldstrafe bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe reicht, variabel Rechnung getragen werden.
Als langjährig erfahrene Strafverteidiger helfen wir Ihnen weiter, wenn Ihnen eine Strafbarkeit wegen Nötigung vorgeworfen. Nach einer rechtlichen Ersteinschätzung und grundlegenden Beratung arbeiten wir bei Handlungsbedarf gerne eine maßgeschneiderte Verteidigungsstrategie für Sie aus.
Der Tatbestand des § 240 StGB
Der objektive Tatbestand des § 240 Abs. 1 StGB setzt sich im Wesentlichen aus einer tauglichen Nötigungshandlung – in Gestalt von Gewalt oder der Drohung mit einem empfindlichen Übel – und einem Nötigungserfolg zusammen. In subjektiver Hinsicht erfordert der Tatbestand des § 240 Abs. 1 StGB vorsätzliches Handeln. Besonders zu würdigen ist im Kontext des Nötigungstatbestands die Rechtswidrigkeit: anders als im Regelfall, wonach ein Straftatbestand grundsätzlich rechtswidrig verwirklicht wird, ist die Rechtswidrigkeit einer Nötigung im Wege einer Verwerflichkeitsprüfung positiv festzustellen.
Schließlich kann die Nötigung in Gestalt eines besonders schweren Falles verwirklicht werden. Ein solcher liegt in der Regel vor, wenn der Täter eine Schwangere zum Schwangerschaftsabbruch nötigt oder seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger missbraucht, § 240 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 und Nr. 2 StGB.
Durch den Straftatbestand der Nötigung werden die Willensbildungsfreiheit sowie die Willensbetätigungsfreiheit des Einzelnen geschützt.
Der objektive Tatbestand des § 240 Abs. 1 StGB
Gemäß § 240 Abs. 1 StGB wird, wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Das Tatobjekt – ein anderer Mensch – muss demnach durch ein Nötigungsmittel zu einem Nötigungserfolg motiviert werden.
Die Nötigungsmittel des § 240 Abs. 1 StGB – Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel
Der im Rahmen des § 240 Abs. 1 StGB im Einzelnen umstrittene Gewaltbegriff setzt im Wesentlichen physisch wirkende Gewalt voraus, welche in Gestalt von vis absoluta (eine willensausschließende Gewalt, welche die Willensbildung und Willensbetätigung eines Opfers unmöglich macht) oder vis compulsiva (eine willensbeugende Gewalt, die die Willensbetätigung des Opfers lenkt) umgesetzt werden kann. Die notwendige physische Komponente hat dabei zur Folge, dass Handlungen mit Zwangscharakter, welche allein psychisch wirken (zu denken ist beispielsweise an Onlinedemonstrationen), nicht von dem Gewaltbegriff des § 240 Abs. 1 StGB erfasst sind. Je nach konkreter Fallkonstellation kann auch die Gewalt durch Unterlassen, gegen Dritte oder gegen Sachen tatbestandsmäßig sein.
Ebenfalls sehr vielfältig kann das – auch durch ein Unterlassen begehbare – Nötigungsmittel der Drohung mit einem empfindlichen Übel eingesetzt werden. Eine Drohung meint das Inaussichtstellen eines künftigen Übels, auf dessen Eintreten der Täter sich Einfluss zuschreibt oder diesen zu haben vorgibt. Dabei stellt ein Übel jeden Nachteil oder jede Einbuße dar. Das Übel ist dann empfindlich, wenn es bei objektiver Betrachtungsweise und unter Einbezug der persönlichen Verhältnisse des Opfers geeignet ist, einen besonnenen Menschen zu dem mit der Drohung begehrten Verhalten zu bestimmen. Insofern kann dem Opfer ein gewisses Standhalten „in besonnener Selbstbehauptung“ zugemutet werden. Ein angedrohtes Übel kann auch dann empfindlich sein, wenn nicht mit der Vornahme einer strafbaren Handlung gedroht wird. Andersherum erfüllt nicht jede Drohung mit einer strafbaren Handlung ohne weiteres den Tatbestand der Nötigung; diese ist immer mit dem im Einzelfall verfolgten Zweck in Beziehung zu setzen. Als tatbestandsmäßig angesehen werden beispielsweise die Drohung, jemand anderen mit erheblichem Lärm zu terrorisieren oder mit Aids zu infizieren. Nicht ausreichen soll die bloße Ankündigung einer Dienstaufsichtsbeschwerde oder das Inaussichtstellen weiterer dienstlicher Schwierigkeiten sein.
Der Nötigungserfolg des § 240 Abs. 1 StGB – Handlung, Duldung oder Unterlassung
Das Nötigungsmittel der Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel muss nunmehr in einem Nötigungserfolg in Gestalt einer abgenötigten Handlung, Duldung oder Unterlassung münden. Notwendig ist dabei eine gewisse Eigenständigkeit von Nötigungsmittel und Nötigungserfolg. Diese verlangt, dass die erstrebte Handlung, Duldung oder Unterlassung, über die mit der Zwangsausübung unmittelbar verbundene Beeinträchtigung hinausgehen muss. Es genügt demnach etwa nicht, den Nötigungserfolg in der schlichten Duldung des mit einer Körperverletzung verbundenen Zwangs zu sehen.
Zudem muss zwischen Nötigungserfolg und Nötigungshandlung Kausalität bestehen.
Der subjektive Tatbestand des § 240 StGB
Bei der Nötigung handelt es sich um ein Vorsatzdelikt. Zur Verwirklichung des Tatbestands ist es demnach erforderlich, dass der Täter bzgl. der Verwirklichung der objektiven Tatbestandsmerkmale mindestens bedingt vorsätzlich handelt.
Die Verwerflichkeit der Nötigung, § 240 Abs. 2 StGB
Gemäß § 240 Abs. 2 StGB ist die Nötigung rechtswidrig, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist. In dieser Regelung liegt eine erhebliche Abweichung von der Grundstruktur des Strafrechts. Anders als sonst üblich, wird die Rechtswidrigkeit der Tat nicht indiziert, sofern keine Rechtfertigungsgründe vorliegen. Vielmehr ist die Rechtswidrigkeit der Nötigung durch eine Verwerflichkeitsprüfung positiv festzustellen, um angesichts der Weite der möglichen Drohungen mit einem empfindlichen Übel die Strafbarkeit einzuschränken und die grundrechtlich geschützte, allgemeine Handlungsfreiheit des Einzelnen zu sichern. Maßstab für die Verwerflichkeit der Nötigung ist ausweislich des Wortlauts des § 240 Abs. 2 StGB das Verhältnis von Nötigungsmittel und Nötigungszweck. Beide Komponenten werden zueinander in ein Verhältnis gesetzt und auf dieser Grundlage eine (fehlende) Widerrechtlichkeit der Nötigung festgestellt. Hieran knüpft nicht nur ein stark von einer Einzelfallrechtsprechung geprägtes Feld an, sondern auch rechtsdogmatische und rechtspolitische Fragestellungen, etwa bezüglich der Berücksichtigung von Fernzielen (wie dem Klimaschutz) oder der potenziellen Rechtmäßigkeit von Demonstrationen angesichts ihres nach Artikel 5 GG und Artikel 8 GG grundrechtlichen Schutzes, finden im Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung der Nötigung ihren Platz. Es drängt sich auf, dass das erhebliche Argumentationspotenzial und die Notwendigkeit einer exakten Einzelfallbetrachtung einen idealen Ansatzpunkt für erfahrene Strafverteidiger bieten, um einem hinreichenden Tatverdacht hinsichtlich einer Strafbarkeit wegen Nötigung zu Fall zu bringen.
Die besonders schweren Fälle der Nötigung, § 240 Abs. 4 StGB
Schließlich kann der Nötigungstatbestand auch in Gestalt eines besonders schweren Falls verwirklicht werden. Ein besonders schwerer Fall liegt gemäß § 240 Abs. 4 S. 2 StGB in der Regel vor, wenn der Täter
- eine Schwangere zum Schwangerschaftsabbruch nötigt oder
- seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger missbraucht.
Dass die Nötigung zum Schwangerschaftsabbruch als besonders schwerer Fall der Nötigung festgeschrieben wurde, verfolgt primär den Zweck, den Schutz der Schwangeren gegen unzumutbaren Druck aus dem sozialen Umfeld abzumildern. Strafbar wäre in diesem Zusammenhang insbesondere das Drohen mit einer Verletzung der Unterhaltspflicht.
Demgegenüber ist ein Befugnismissbrauch eines Amtsträgers (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB) anzunehmen, wenn der innerhalb seiner Kompetenzen handelnde Amtsträger insoweit pflicht- oder gesetzeswidrig von diesem Gebrauch macht. Ein Missbrauch der Stellung besteht bereits in dem Anmaßen dem Täter nicht zustehender Befugnisse, um diese als Nötigungsmittel zur Verfolgung eines bestimmten Nötigungserfolgs einzusetzen.
Mögliches Strafmaß im Falle einer Verurteilung wegen Nötigung
Die Nötigung gemäß § 240 Abs. 1 StGB wird mit Geldstrafe bis zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren bestraft. Gemäß § 240 Abs. 3 StGB ist auch der Versuch strafbar.
Der besonders schwere Fall der Nötigung nach § 240 Abs. 4 S. 2 StGB kann auf Strafzumessungsebene durch eine Erhöhung des Strafrahmens in Verhältnis zum Regelstrafrahmen Berücksichtigung finden: Gemäß § 240 Abs. 4 S. 1 StGB variiert die Freiheitsstrafe in besonders schweren Fällen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.
Auch bei dem Nötigungstatbestand ist die konkret ausgeurteilte Strafe maßgeblich einzelfallabhängig. Neben den Tatumständen haben insbesondere etwaige Vorstrafen des Täters erheblichen Einfluss auf die Strafhöhe. Zudem besteht die Möglichkeit eines Eintrags im Führungszeugnis. Grundsätzlich werden Geldstrafen erst ab mehr als 90 Tagessätzen oder Freiheitsstrafen von mehr als drei Monaten vermerkt, sofern keine weiteren Strafen eingetragen sind. Da viele Arbeitgeber die Vorlage eines Führungszeugnisses verlangen, legen wir als Strafverteidiger besonderen Wert darauf, das Strafmaß idealerweise unterhalb der Grenze von 90 Tagessätzen zu halten.
Benötige ich einen Rechtsanwalt?
Um einem höheren Strafmaß entgegenzuwirken oder im besten Fall eine Verurteilung zu verhindern, sollten Sie sich als Beschuldigter in einem Strafverfahren wegen Nötigung von einem spezialisierten Rechtsanwalt begleiten lassen. Je nach konkreter Fallkonstellation kann eine Strafbarkeit wegen Nötigung empfindliche Sanktionen auslösen. Wir machen es uns als Aufgabe, sie bestmöglich zu beraten und diese Folgen nach Möglichkeit zu vermeiden.
Als langjährig erfahrene Strafverteidiger unterstützen wir Sie gerne und setzen uns für eine ideale Verteidigung jedem Verfahrensabschnitt ein.