Mord aus Heimtücke: Wann tötet jemand heimtückisch? Mordmerkmal und § 211 StGB
Abgrenzung Mord vs. Totschlag: Entgegen verbreiteter Annahme ist nicht die Planung, sondern das Vorliegen eines Mordmerkmals entscheidend.
Definition Heimtücke: Heimtückisch tötet, wer die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst und in feindlicher Willensrichtung ausnutzt.
Arglosigkeit: Das Opfer sieht sich keines Angriffs versehen; die Arglosigkeit muss im relevanten Tatzeitpunkt bestehen.
Wehrlosigkeit: Das Opfer ist durch seine Arglosigkeit in seinen Verteidigungsmöglichkeiten erheblich eingeschränkt.
Aktuelle BGH-Rechtsprechung: Der Tötungsangriff beginnt nicht erst mit der eigentlichen Tötungshandlung, sondern umfasst auch die unmittelbar davor liegende Phase.
Strafrechtliche Konsequenzen: Heimtückischer Mord wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft, während Totschlag mit Freiheitsstrafe von 5 bis 15 Jahren geahndet wird.
Strafrecht: Der fundamentale Unterschied zwischen Mord und Totschlag
Ein weit verbreiteter Irrtum in der Bevölkerung ist die Annahme, dass der Unterschied zwischen Mord und Totschlag in der Planung der Tat liegt. Viele Menschen glauben fälschlicherweise, dass eine Tötung nur dann als Mord einzustufen ist, wenn sie geplant wurde, während ein Totschlag im Affekt geschieht. Diese populäre Vorstellung entspricht jedoch nicht der rechtlichen Realität in Deutschland.
In Wahrheit müssen beide Delikte – sowohl Mord als auch Totschlag – mit einfachem Vorsatz begangen werden. Der entscheidende Unterschied liegt im Vorliegen besonderer Merkmale, die im Strafgesetzbuch als “Mordmerkmale” definiert sind. Eines der häufigsten und in der Rechtsprechung besonders relevanten Mordmerkmale ist die Heimtücke.
Die Mordmerkmale nach § 211 StGB
Gesetzliche Grundlage und Aufbau
Im deutschen Strafrecht ist der Mord in § 211 StGB geregelt. Nach § 211 Abs. 1 StGB wird ein Mörder mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. In § 211 Abs. 2 StGB werden die Mordmerkmale definiert:
“Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken einen Menschen tötet.”
Die Mordmerkmale lassen sich in drei Gruppen einteilen:
- Tatmotive (Mordlust, Befriedigung des Geschlechtstriebs, Habgier, niedrige Beweggründe)
- Tatausführung (heimtückisch, grausam, gemeingefährliche Mittel)
- Tatzweck (Ermöglichung oder Verdeckung einer anderen Straftat)
Heimtücke als besonders relevantes Mordmerkmal
Von allen Mordmerkmalen ist die Heimtücke in der Praxis besonders relevant und wird in vielen Fällen von den Gerichten geprüft. Das liegt daran, dass dieses Merkmal häufig im Grenzbereich zwischen Mord und Totschlag eine entscheidende Rolle spielt und seine Feststellung oft mit besonderen Schwierigkeiten verbunden ist.

Definition und Voraussetzungen der Heimtücke
Rechtliche Definition
Was genau ist nun das Mordmerkmal der Heimtücke? Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelt heimtückisch, wer die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst und in feindlicher Willensrichtung ausnutzt.
Die drei Kernelemente der Heimtücke
1. Arglosigkeit des Opfers
Arglos ist, wer sich zum Zeitpunkt der Tat keines Angriffs versieht. Das Opfer rechnet also nicht damit, dass es angegriffen werden könnte, und ist daher unvorbereitet. Die Arglosigkeit ist ein subjektives Element, das auf der Wahrnehmung und Einschätzung des Opfers beruht.
Nicht arglos ist hingegen, wer mit einem Angriff rechnet oder diesen sogar erwartet. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn dem Angriff ein Streit vorausging, in dem bereits körperliche Gewalt angedroht wurde.
2. Wehrlosigkeit des Opfers
Das Opfer ist wehrlos, wenn es infolge seiner Arglosigkeit in seinen Verteidigungsmöglichkeiten so eingeschränkt ist, dass es den Angriff nicht abwehren oder erschweren kann. Die Wehrlosigkeit muss kausal auf der Arglosigkeit beruhen – das Opfer kann sich also gerade deshalb nicht verteidigen, weil es mit keinem Angriff rechnet.
Auch Menschen, die aufgrund körperlicher Einschränkungen oder ihrer Lage (z.B. im Schlaf) generell wehrlos sind, können heimtückisch getötet werden, wenn sie zugleich arglos sind.
3. Bewusstes Ausnutzen in feindlicher Willensrichtung
Der Täter muss die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers erkennen und sich diese bewusst zunutze machen. Es reicht nicht aus, dass das Opfer zufällig arglos ist – der Täter muss dies wahrnehmen und gezielt ausnutzen. Zudem muss dies in “feindlicher Willensrichtung” geschehen, was bedeutet, dass der Täter die Situation zum Nachteil des Opfers ausnutzt.
Herausforderungen bei der Feststellung von Heimtücke
Zeitpunkt der Arglosigkeit
Eine der zentralen Schwierigkeiten bei der Feststellung von Heimtücke ist die Bestimmung des relevanten Zeitpunkts für die Beurteilung der Arglosigkeit. Der BGH hat in seiner Rechtsprechung klargestellt, dass es auf den Beginn des Tötungsangriffs ankommt. Dieser Zeitpunkt kann jedoch schwer zu bestimmen sein, insbesondere bei mehraktigen Geschehensabläufen.
Beginn des Tötungsangriffs
In einem wegweisenden Urteil hat der BGH (Urt. v. 24.05.2023, Az. 2 StR 320/22) präzisiert, dass der Angriff “nicht erst mit der eigentlichen Tötungshandlung beginnt, sondern auch die unmittelbar davor liegende Phase umfasst.” Dies bedeutet, dass auch Vorbereitungshandlungen, die unmittelbar in die Tötungshandlung münden, Teil des Angriffs sein können.
Fortwirkung heimtückebegründender Umstände
Der BGH hat zudem festgestellt, dass ein heimtückisches Vorgehen auch in Vorkehrungen liegen kann, die der Täter ergreift, um eine günstige Gelegenheit zur Tötung zu schaffen, sofern diese bei der Tat noch fortwirken. Dies erweitert den Anwendungsbereich der Heimtücke erheblich.
Der aktuelle Fall des BGH zur Heimtücke (2023)
Sachverhalt des Falls
Das Landgericht Köln hatte im Jahr 2022 einen Mann wegen Totschlags zum Nachteil seiner außerehelichen Partnerin verurteilt (LG Köln, Urt. v. 17.03.2022, Az. 104 Ks 23/21).
Der Angeklagte war mit der Frau im Jahr 2020 in deren PKW zu einem abgeschiedenen Ort gefahren. Während die Frau auf dem Beifahrersitz des stehenden Fahrzeugs saß, schoss ihr der Angeklagte aus kürzester Distanz zweimal in den Kopf. Der Angeklagte befand sich dabei entweder außerhalb des Fahrzeugs an der Beifahrerseite oder hinter dem Beifahrersitz auf der Rückbank.
Beurteilung durch das Landgericht Köln
Das LG Köln verneinte das Vorliegen von Heimtücke, da nicht mit Sicherheit festgestellt werden konnte, dass die Frau im Moment der ersten Schussabgabe tatsächlich arglos war. Das Gericht hielt es für möglich, dass der Angeklagte sie zuvor mit der Schusswaffe bedroht hatte, wodurch die Arglosigkeit entfallen wäre.
Entscheidung des BGH
Der BGH hob das Urteil des LG Köln auf und verwies den Fall zur neuen Verhandlung zurück. Nach Auffassung des BGH hatte das Landgericht einen zu engen Maßstab angelegt:
- Das LG hatte für den Zeitpunkt des Angriffs fälschlicherweise nur auf den Moment des ersten Schusses abgestellt.
- Der BGH betonte, dass der Angriff nicht erst mit der eigentlichen Tötungshandlung beginnt, sondern auch die unmittelbar davor liegende Phase umfasst.
- Selbst wenn eine vorherige Bedrohung stattgefunden hätte, schließe dies die Heimtücke nicht automatisch aus.
- Das LG hätte prüfen müssen, ob die Frau bei einer möglichen Bedrohung überhaupt eine Chance zur Flucht oder Verteidigung hatte.
Rechtliche Konsequenzen der BGH-Entscheidung
Die Entscheidung des BGH zeigt, dass die Prüfung der Heimtücke differenziert erfolgen muss:
- Auch wenn der Täter das Opfer zunächst bedroht und somit dessen Arglosigkeit beseitigt, kann Heimtücke vorliegen, wenn das Opfer trotzdem wehrlos bleibt.
- Der Täter kann die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst herbeiführen, indem er es zunächst in eine Situation bringt, in der es sich nicht mehr verteidigen kann.
- Entscheidend ist nicht nur der Moment der Tötungshandlung selbst, sondern der gesamte Handlungskomplex, der unmittelbar zur Tötung führt.
Weitere bedeutende Rechtsprechung zur Heimtücke
Klassische Fallkonstellationen heimtückischer Tötung
Tötung im Schlaf oder aus dem Hinterhalt
Klassische Beispiele für heimtückische Tötungen sind Angriffe auf schlafende Opfer oder Angriffe aus dem Hinterhalt. In diesen Fällen ist die Arglosigkeit regelmäßig gegeben, da das Opfer mit keinem Angriff rechnet.
Tötung nach Vortäuschen friedlicher Absichten
Heimtücke liegt auch vor, wenn der Täter zunächst friedliche Absichten vortäuscht und dann überraschend angreift. Der BGH hat in mehreren Entscheidungen betont, dass gerade das Ausnutzen eines Vertrauensverhältnisses ein typisches Merkmal der Heimtücke sein kann.
Ein besonders spektakulärer Fall, bei dem das Vortäuschen friedlicher Absichten eine zentrale Rolle spielte, ist der sogenannte „Doppelgängerinnen-Mord” von Eppingen, bei dem das Opfer unter dem Vorwand einer kostenlosen Kosmetikbehandlung in eine Falle gelockt wurde.
Grenzen der Heimtücke
Offene Feindschaft und vorherige Drohungen
Keine Arglosigkeit und damit keine Heimtücke liegt vor, wenn zwischen Täter und Opfer eine offene Feindschaft besteht und das Opfer mit einem Angriff rechnen muss. Auch vorherige konkrete Drohungen können die Arglosigkeit ausschließen.
Besondere Opfergruppen
Der BGH hat sich in mehreren Entscheidungen mit der Frage befasst, ob bei bestimmten Opfergruppen, wie beispielsweise Kleinkindern oder bewusstlosen Personen, überhaupt Arglosigkeit vorliegen kann. Bei Kleinkindern hat der BGH die Arglosigkeit verneint, da sie die Gefahr noch nicht erkennen können. Bei bewusstlosen Personen wurde die Arglosigkeit ebenfalls verneint, da sie keinen Angriff wahrnehmen können.

Praktische Bedeutung der Unterscheidung zwischen Mord und Totschlag
Strafrechtliche Konsequenzen
Die Unterscheidung zwischen Mord und Totschlag hat erhebliche Auswirkungen auf das Strafmaß:
- Mord (§ 211 StGB): Lebenslange Freiheitsstrafe
- Totschlag (§ 212 StGB): Freiheitsstrafe von 5 bis 15 Jahren
In Fällen von besonderer Schwere des Totschlags kann gemäß § 212 Abs. 2 StGB ebenfalls eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt werden, jedoch ist dies die Ausnahme.
Bedeutung für die Verteidigung
Für die Verteidigung in Tötungsdelikten ist die Frage, ob Heimtücke vorliegt, oft entscheidend. Die Verteidigungsstrategie wird sich darauf konzentrieren, das Vorliegen der Heimtücke zu widerlegen, insbesondere durch:
- Nachweis, dass das Opfer nicht arglos war (z.B. durch vorherige Streitigkeiten oder Drohungen)
- Darlegung, dass der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit nicht bewusst ausgenutzt hat
- Argument, dass die Tat im Affekt begangen wurde und der Täter die Situation nicht kühl kalkuliert hat
In einem erfolgreichen Verteidigungsfall vor dem Landgericht Göttingen konnte unsere Kanzlei durch eine gezielte Verteidigungsstrategie erreichen, dass ein ursprünglich wegen Totschlags Angeklagter lediglich wegen Strafvereitelung verurteilt wurde.
Prozessuale Besonderheiten
In Verfahren wegen Mordes ist stets das Schwurgericht zuständig, während bei Totschlag auch die große Strafkammer entscheiden kann. Zudem sind die Anforderungen an die Beweisführung bei Mordmerkmalen besonders hoch, da diese zweifelsfrei festgestellt werden müssen.
Häufig gestellte Fragen zum Mord aus Heimtücke
Fazit und Ausblick
Die Abgrenzung zwischen Mord aus Heimtücke und Totschlag bleibt eine der anspruchsvollsten Aufgaben in der strafrechtlichen Praxis. Die aktuelle Rechtsprechung des BGH zeigt, dass die Prüfung differenziert erfolgen muss und der gesamte Handlungskomplex zu berücksichtigen ist.
Die Rechtsprechung zur Heimtücke entwickelt sich stetig weiter und reagiert auf neue Fallkonstellationen. Es bleibt abzuwarten, wie das Landgericht Köln im zurückverwiesenen Fall entscheiden wird und welche weiteren Präzisierungen der BGH in Zukunft vornehmen wird.
Für die Praxis bedeutet dies, dass eine sorgfältige Analyse der konkreten Tatumstände unerlässlich ist, um eine zutreffende rechtliche Einordnung vornehmen zu können.
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