Verteidigung im Jugendstrafverfahren
Jugendstrafrecht: Es gilt für Jugendliche (14-17 Jahre) und in Einzelfällen für Heranwachsende (18-20 Jahre). Der Fokus liegt auf Erziehung statt Bestrafung.
Typische Jugenddelikte: Häufige Straftaten sind Diebstahl, Körperverletzung, Hausfriedensbruch und Verkehrsdelikte.
Verteidigungsstrategien: Ziel ist oft die Verfahrenseinstellung. Alternativen sind Diversion (Absehen von der Strafverfolgung), Erziehungsmaßregeln oder ein Täter-Opfer-Ausgleich.
Besonderheiten: Die Jugendgerichtshilfe ist beteiligt, und die Öffentlichkeit ist bei Verhandlungen ausgeschlossen, um den Schutz der Persönlichkeitsrechte zu gewährleisten.
Jugendstrafe: Sie wird nur als letzte Maßnahme verhängt, z. B. bei schweren Straftaten oder schädlichen Neigungen, und liegt zwischen 6 Monaten und 5 Jahren (bis zu 15 Jahren bei besonders schweren Fällen).
Pflichtverteidigung: Jugendliche erhalten häufiger als Erwachsene einen Pflichtverteidiger, vor allem bei drohenden Jugendstrafen oder Freiheitsentzug.
Was passiert mit Jugendlichen, die straffällig werden?
Besonders im Jugendstrafrecht ist eine frühzeitige Beauftragung eines fachkundigen Strafverteidigers entscheidend, da Jugendlichen und Heranwachsenden innerhalb des Verfahrens besondere rechtliche Schutzbedürfnisse zukommen. Wir möchten sicherstellen, dass diese auch berücksichtigt werden und eine faire Behandlung gewährleistet ist, um Ihre Rechte bestmöglich durchsetzen zu können.
Sollten Sie selbst als Jugendlicher oder Heranwachsender in einem Strafverfahren beteiligt sein oder ist Ihr Kind Beschuldigter in einem Strafverfahren und Sie wissen nicht, melden Sie sich bestenfalls umgehend, damit wir Ihnen erklären können, wie Sie sich am besten verhalten.
Das übergeordnete Ziel ist in den meisten Fällen selbstverständlich die Einstellung des Verfahrens noch im Ermittlungsstadium. Wenn dies nicht mehr möglich ist, bestehen für uns als Verteidiger im Jugendstrafrecht zahlreiche alternative Möglichkeiten, um eine möglichst milde Sanktion zu erreichen.
Jugenddelinquenz – Grund zur Besorgnis oder Normalität?
Laut der polizeilichen Kriminalstatistik wurden 21% der im Jahr 2023 verübten Straftaten von Jugendlichen begangen. Junge Menschen begehen damit durchaus häufig Straftaten.
Dies geschieht in den meisten Fällen unabhängig von ihrer familiären Herkunft oder Nationalität, sondern vielmehr aufgrund ihrer körperlich-biologischen Entwicklung und bestehenden psycho-sozialen Belastungen. Junge Täter befinden sich biologisch, psychisch und sozial in einem Stadium des Übergangs, mit dem häufig, Spannungen, Unsicherheiten und Anpassungsschwierigkeiten, insbesondere in Bezug auf die Aneignung von Verhaltensnormen, einhergehen.
Das kriminelle Verhalten ist in den aller meisten Fällen nur temporär und endet selbstständig, wenn der Reifeprozess des Jugendlichen abgeschlossen ist.
Als typische Jugenddelikte gelten beispielsweise Diebstahl, Körperverletzung, Hausfriedensbruch und vor allem Verkehrsdelikte.
Wenn ein Jugendlicher eine Straftat begeht, wird er nicht, wie dies im Erwachsenenstrafrecht der Fall ist zu einer Geldstrafe oder Freiheitsstrafe verurteilt, sondern es findet das Jugendstrafrecht Anwendung, welches eine größere Bandbreite an möglichen erzieherischen Maßnahmen bedingt. Grund hierfür ist die erhöhte Sensibilität des Jugendstrafrechts als solches sowie die besonderen Bedürfnisse der Jugendlichen, die auch hinsichtlich des Strafmaßes Berücksichtigung finden müssen.
Wann findet das Jugendstrafrecht Anwendung?
Gem. § 1 JGG findet das Jugendstrafrecht Anwendung, wenn ein Jugendlicher oder ein Heranwachsender eine Verfehlung (Verbrechen und Vergehen) begeht, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist.
Als Jugendlicher gilt, wer zur Zeit der Tat 14, aber noch nicht 18 Jahre alt ist. Ein Heranwachsender ist jemand, der 18 Jahre, aber noch nicht 21 Jahre alt ist.
Jugendliche sind gem. § 3 JGG nur „bedingt strafmündig“. Das bedeutet, dass positiv festgestellt werden muss, ob der einzelne Jugendliche zum Zeitpunkt der Tatbegehung verantwortungsreif war. Dies ist grundsätzlich dann der Fall, wenn das Vorhandensein der sogenannten Einsichtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit bejaht werden kann. Die Einsichtsfähigkeit setzt sich aus der ethischen Reife, der Verstandesreife und dem Vorhandensein eines Unrechtsbewusstseins zusammen. Handlungsfähigkeit meint, die Fähigkeit das eigene Verhalten entsprechend der eigenen Einsicht auszurichten zu können.
Heranwachsende sind in jedem Fall strafmündig. Ob bei einem Heranwachsenden das Jugendstrafrecht oder das Erwachsenenstrafrecht Anwendung findet, entscheidet sich im Einzelfall. Relevant ist dabei, welchen Reifezustand der Heranwachsende zum Zeitpunkt der Tat hatte und ob er bei der konkreten Tat noch einem Jugendlichen gleichzustellen war, weil zum Beispiel eine jugendtypische Tat begangen wurde.
Ab dem Alter von 21 Jahren gilt ausschließlich das Erwachsenenstrafrecht, eine Anwendung des Jugendstrafrechts ist ausgeschlossen.
Möglichkeiten der Verteidigung – Keine Bestrafung?
Im Rahmen der Verteidigung Jugendlicher und Heranwachsender ist es besonders wichtig, ein frühes erstes gemeinsames Gespräch durchzuführen, um dem jungen, sich noch in der Entwicklung befindlichen Mandanten den Strafprozess sowie die damit einhergehenden Besonderheiten zu erläutern, seine Interessen zu wahren, eine faire angemessene Behandlung des Jugendlichen sicherzustellen und gemeinsam das bestmögliche Ergebnis für ihn zu erzielen. Hierbei wird besonderer Wert auf die Lebenssituation und die Zukunftspläne des jungen Mandanten gelegt, um die Sanktion und das entsprechende Legalverhalten besser prognostizieren zu können.
Das Jugendstrafrecht bietet eine Vielzahl von Sanktionsmöglichkeiten, zu nennen sind hier vor allem die Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel sowie die Jugendstrafe. Innerhalb der Sanktionen findet der Grundsatz der Subsidiarität Anwendung. Das bedeutet, dass in der Regel zunächst eine Erziehungsmaßregel als mildere Sanktion verhängt werden muss, ehe etwaige Zuchtmittel oder gar die Verhängung der Jugendstrafe in Betracht kommen.
Wenn es um den Vorwurf einer schweren Straftat geht und ein Freispruch ausgeschlossen erscheint, werden wir als Strafverteidiger auf eine möglichst milde Sanktion – die Verhängung einer Erziehungsmaßregel hinarbeiten.
Als Strafverteidiger im Jugendstrafrecht prüfen wir zunächst, ob die Voraussetzungen für eine Einstellung des Verfahrens gegeben sind. Zudem beraten wir den Jugendlichen oder Heranwachsenden und gegebenenfalls auch dessen Erziehungsberechtigte, was ihrerseits für eine Einstellung des Verfahrens getan werden kann. Eine Einstellung kommt grundsätzlich immer dann in Betracht, wenn der Täter keinerlei Vorstrafen hat, seine Schuld als gering anzusehen ist und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht.
Diversion – Das Absehen von der Verfolgung der Tat
Wenn eine „gewöhnliche Einstellung“ nicht in Betracht kommt oder aussichtslos erscheint, bemühen wir uns um eine Verfahrensbeendigung entsprechend der „Diversionsvorschriften“. Eine Diversion kann ein Absehen von der Verfolgung der Tat bedingen und damit eine jugendstrafrechtliche Reaktion durch ein Urteil vermeiden, wenn die erzieherische Einwirkung im Rahmen der §§ 45, 47 JGG gewährleistet ist.
Gemäß § 45 Abs. 1 JGG kann die Staatsanwaltschaft von einer Bestrafung absehen, wenn es sich um ein erstmaliges Vergehen des Täters handelt, welches ein jugendtypisches Fehlverhalten mit einem geringen Schuldgehalt zum Gegenstand hat und keine besonderen erzieherischen Maßnahmen erforderlich sind.
Andernfalls besteht die Möglichkeit des § 45 Abs. 2 JGG. Demnach ist ein Absehen von der Strafe geboten, wenn bereits eine erzieherische Maßnahme gegen den Jugendlichen/Heranwachsenden durchgeführt oder eingeleitet worden ist, die in der Art auf den Jugendlichen einwirkt, sodass eine Beteiligung des Jugendrichters nicht mehr erforderlich ist. Erzieherische Maßnahmen können etwa Sanktionen der Eltern, der Schule oder der Jugendgerichtshilfe sein.
Weiterhin besteht gemäß § 45 Abs. 3 JGG die Möglichkeit der Beendigung des Verfahrens, wenn sich der junge Täter das vermeintliche Unrecht, welches er verwirklicht haben soll, eingesteht und die Erteilung einer Weisung oder Auflage angeordnet wird. Als Auflage gilt beispielsweise die Erbringung von Arbeitsleistungen, der Ausgleich mit dem Verletzten oder die Erbringung eines Geldbetrages zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung.
Täter-Opfer-Ausgleich
Eine weitere strategische Möglichkeit der Verteidigung stellt der sogenannte Täter-Opfer-Ausgleich dar. Das primäre Ziel hierbei liegt in der Schadenswiedergutmachung. Vollzogen wird der Ausgleich zwischen dem vermeintlichen Täter und dem Geschädigten, indem eine Entschuldigung durch den vermeintlichen Täter, eine Aussprache, eine Versöhnung oder ein Eingeständnis erfolgt. Die geschädigte Person soll durch den Ausgleich ein Gefühl der Kontrolle zurückgewinnen (Opferschutz). Ein Täter-Opfer-Ausgleich kann jedoch nur bei leichten bis mittelschwere Straftaten in Betracht kommen. Für den Fall, dass der Ausgleich erfolgreich abgeschlossen werden kann, wird das Verfahren durch die Staatsanwaltschaft eingestellt.
Außergerichtliche Einigung – Verständigung und Absprache
Teilweise kann es auch sinnvoll sein, eine Verständigung mit Gericht und Staatsanwaltschaft über den Verfahrensausgang anzustreben. In diesem Fall müsste der Jugendliche bzw. Heranwachsende zustimmen bestimmte Auflagen zu erfüllen.
Eine weitere Aufgabe unsererseits ist es, die negativen Folgen der Strafe und des Prozesses zu verhindern oder in jedem Fall abzumildern. Zu den etwaigen negativen Folgen zählen beispielsweise eine Schadensersatzleitung an den Geschädigten, eine etwaige Kündigung, ein negatives Führungszeugnis oder mögliche aufenthaltsrechtliche Konsequenzen.
Wann darf eine Jugendstrafe verhängt werden?
Eine Jugendstrafe kommt gemäß § 17 Abs. 2 des Jugendgerichtsgesetzes (JGG) grundsätzlich nur als letzte Maßnahme im Jugendstrafrecht zur Anwendung. Der Freiheitsentzug soll nur dann angeordnet werden, wenn aufgrund der „schädlichen Neigungen des Jugendlichen Erziehungsmaßregen oder Zuchtmittel zur Erziehung nicht ausreichen oder wenn aufgrund der Schwere der Schuld eine Strafe erforderlich ist“.
Allerdings ist der Begriff der schändlichen Neigungen sehr veraltet und ungenau. Gemeint sind primär erhebliche Anlage- oder Erziehungsmängel, die ohne längere Gesamterziehung des Täters – durch eine Jugendstrafe – die Gefahr weiterer Straftaten begründen. In der Regel ist es hierfür erforderlich, dass gravierende Persönlichkeitsmängel des Täters bereits vor der Tat vorlagen. In einzelnen Fällen kann auch aufgrund der Schwere der Schuld eine Jugendstrafe erforderlich sein. Maßgeblich für die Beurteilung sind die Umstände der persönlichen Schuld des Täters, seine charakterliche Haltung, seine Persönlichkeit und die Tatmotivation, welche sich in der Schuld niedergeschlagen haben.
In der Regel wird der zuständige Jugendrichter eine Jugendstrafe allerdings nur verhängen, wenn alle anderen Erziehungsmöglichkeiten bereits erprobt wurden oder von vornherein aussichtslos erscheinen. Hintergrund dessen ist die Ausgestaltung des Jugendstrafrechts als Erziehungsstrafrecht. Der Erziehungsgedanke ist stets der Grund, die Rechtfertigung und die Grenze für die Anwendung des Jugendstrafrechts. Das primäre Ziel des Jugendstrafrechtes ist es zu verhindern, dass der Jugendliche oder Heranwachsende erneut straffällig wird, auch um dadurch die Allgemeinheit zu schützen. Allerdings stellt jede Maßnahme des Jugendstrafrechts auch eine Sanktion dar und bedeutet für Sie als Betroffenen einen Eingriff in Ihre Freiheit.
Die Jugendstrafe gilt dabei als empfindlichste Maßnahme des Jugendstrafrechts. Das Mindestmaß der Strafe beträgt hierbei 6 Monate und das Höchstmaß 5 Jahre. Hintergrund dessen ist ebenfalls der Erziehungsgedanke und die damit einhergehende Annahme, dass in einem Zeitraum von unter 6 Monaten und über 5 Jahren eine stationäre Erziehung keinen Erfolg versprechen könne.
Trotz dessen kann es in einzelnen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von bis zu 15 Jahren kommen. Weshalb eine gute Strafverteidigung in jedem Fall unabdingbar ist.
Besonderheiten im Jugendstrafverfahren
Eine Besonderheit des Jugendstrafverfahrens stellt die Beteiligung der Jugendgerichtshilfe und deren mögliche Vernehmung des Jugendlichen dar. Die Jugendgerichtshilfe ist eine Abteilung des Jugendamtes, welche die Jugendlichen vor, während und nach der Gerichtsverhandlung betreut und die erzieherischen und sozialen Gesichtspunkte im Verfahren vertreten soll. Die Mitarbeitenden der Jugendgerichtshilfe sind gegenüber dem Gericht nicht zur Verschwiegenheit verpflichtet. Der Jugendliche bzw. Heranwachende ist jedoch auch nicht verpflichtet an einem solchen Gespräch teilzunehmen. Eine Teilnahme kann jedoch auch von Vorteil sein. Auch hinsichtlich dieser Entscheidung beraten wir Sie, erläutern Vorteile und Nachteile.
Sobald das Verfahren gegen den Jugendlichen eingeleitet wird, haben auch die Eltern oder Erziehungsberechtigten ein Recht darauf gehört zu werden, Fragen oder Anträge zu stellen oder bei Untersuchungshandlungen anwesend zu sein.
Im Rahmen eines Verfahrens gegen einen Jugendlichen oder Heranwachsenden besteht ferner zumeist ein Öffentlichkeitsinteresse. Dieses führt nicht selten zu einem erhöhten Druck seitens der Ermittlungsbehörden, welcher jedoch nicht zu einem Nachteil des Jugendlichen gereichen soll.
Um einen ausgeprägten Persönlichkeitsschutz des Angeklagten zu ermöglichen, ist die Öffentlichkeit bei der Hauptverhandlung ausgeschlossen. Gleiches gilt für die Presse- und Bildberichterstattung. Es dürfen weder Fotos noch der Name des Angeklagten oder sonstige Angaben, die geeignet sind, ihn zu identifizieren, veröffentlicht werden. Damit dies auch gewährleistet wird, werden wir als Verteidiger alle erforderlichen Maßnahmen treffen.
Beiordnung eines Pflichtverteidigers
Die Beiordnung eines notwendigen Verteidigers/Pflichtverteidigers kommt in Jugendstrafsachen deutlich häufiger vor als im Erwachsenenstrafrecht. Häufig befinden sich Jugendliche oder Heranwachsende, die eine Straftat begangen haben, in einer finanziell prekären oder sozial wenig kompetenten Situation und sind auf die Beiordnung angewiesen.
Ein Pflichtverteidiger ist dem Jugendlichen oder Heranwachsenden neben den Beiordnungsgründen des § 140 StPO, die auch im Erwachsenenstrafrecht Anwendung finden, insbesondere dann zu bestellen, wenn die Verhängung einer Jugendstrafe in Betracht kommt oder die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt zu erwarten ist. Ein weiterer Grund liegt vor, wenn die Erziehungsberechtigten wegen des Verdachts der Tatbeteiligung oder aus Gründen der Staatssicherheit nicht mehr am Verfahren teilnehmen können.
Darüber hinaus ist dem Jugendlichen in jedem Fall ein Verteidiger zu bestellen, wenn gegen ihn bereits eine Untersuchungshaft oder eine einstweilige Unterbringung vollstreckt wird.
Die Kanzlei Mügge, Dr. Pitschel & Partner ist auf dem Gebiet des Jugendstrafrechts bestens aufgestellt und verfügt über langjährige praktische Erfahrung. Wir bemühen uns jederzeit um eine Einstellung des Verfahrens, um eine belastende Hauptverhandlung zu verhindern. Sollten Sie Fragen haben, kontaktieren Sie uns gerne.