Nahaufnahme eines Gewehrs und einer Patrone

Verwertbarkeit von EncroChat-Daten?

Im Früh­jahr 2020 gelang es fran­zö­si­schen und nieder­län­di­schen Straf­ver­fol­gungs­be­hörden in das System des Kommu­ni­ka­ti­ons­an­bie­ters Encro­Chat hat einzu­dringen und dieses letzt­end­lich zu zerschlagen – mit der Folge einer Einlei­tung von tausenden von Ermitt­lungs­ver­fahren, auch in Deutsch­land.

Encro­Chat war ein Kommu­ni­ka­ti­ons­an­bieter, der sog. Kryp­to­handys und eine Infra­struktur für Ende-zu-Ende-verschlüs­selten OTR-Nach­rich­ten­so­fort­ver­sand (Encro­Chat) und IP-Tele­fonie (EncroTalk) anbot.

Der Vorteil der für die Nutzer des Kryp­to­dienstes einher­ging, liegt auf der Hand: Durch die Nutzung verschlüs­selter Chats konnten Anbah­nung von ille­galen Geschäften, Verhand­lungen, Trans­port­ko­or­di­na­tion usw. vorge­nommen werden, ohne dass sich die betei­ligten Personen treffen mussten und ohne, dass sie davor Sorge haben musste, abge­hört zu werden.

Bedingt durch das hier­durch vermit­telte Gefühl, sich in einem sicheren, vor den Ermitt­lungs­be­hörden verbor­genen Ort zu befinden und dabei anonym bleiben zu können, erfolgte die Kommu­ni­ka­tion mit den vermeint­lich abhör­si­cheren Kryp­to­handys viel­fach unge­hemmt und unter Aufgabe jegli­cher Vorsicht, sodass die Ermitt­lungs­be­hörden durch die Infil­trie­rung von Encro­Chat umfas­sende Einblicke in die Geschäfte und Struk­turen der orga­ni­sierten Krimi­na­lität erlangten.

Die Ermitt­lungs­be­hörde Europol hatte im Juni 2023 mitge­teilt, dass aufgrund von Ermitt­lungs­ver­fahren wegen Drogen­de­likten, aber auch Mord­an­schlägen, Korrup­tion, Waffen­handel, Über­fällen und Geld­wä­sche bisher mehr als 6.500 Personen fest­ge­nommen und beinahe 9 Millionen Euro beschlag­nahmt worden seien.

Weiterhin beschlag­nahmt worden seien 30,5 Millionen Pillen chemi­scher Drogen, 103,5 Tonnen Kokain, 163,4 Tonnen Cannabis, 3,3 Tonnen Heroin, 971 Fahr­zeuge, 271 Grundstücke/Immobilien, 923 Waffen, 21.750 Stück Muni­tion, 83 Boote und 40 Flug­zeuge.

Doch es stellt sich die Frage: Dürfen deut­sche Gerichte jemanden auf der Basis von Daten des verschlüs­selten Kommu­ni­ka­ti­ons­sys­tems Encro­Chat verur­teilen?

In den statt­fin­denden Verfahren stellte die Vertei­di­gung immer wieder die Verwert­bar­keit der Enchro­chat-Nach­richten als zuläs­siges Beweis­mittel in Frage.

Sie kriti­sierten unter anderem die Erhe­bung der Daten durch die euro­päi­schen Ermitt­lungs­per­sonen als rechts­widrig. Das konkrete Vorgehen der fran­zö­si­schen und nieder­län­di­schen Behörden sei unklar, sodass unge­wiss bleibe, ob die gewon­nenen Erkennt­nisse nicht einem – aus der mögli­chen Miss­ach­tung von verfah­rens­recht­li­chen Vorgaben – Beweis­ver­wer­tungs­verbot unter­liegen müssten.

Anfang März 2022 entschied der 5. Straf­senat des Bundes­ge­richts­hofs, dass die aus Encro­Chat gewon­nenen Erkennt­nisse grund­sätz­lich verwertbar seien (Beschl. v. 02.03.2022, Az. 5 StR 457/21). Nach der Auffas­sung des BGH seien die entschlüs­selten Chats als Beweis­mittel zulässig sind, wenn sie der Aufklä­rung schwerer Straf­taten dienen. Ein Beweis­ver­wer­tungs­verbot bestehe „unter keinem recht­li­chen Gesichts­punkt“. Verstöße gegen menschen- oder euro­pa­recht­liche Grund­werte oder gegen grund­le­gende Rechts­staats­an­for­de­rungen lägen nicht vor, so der BGH.

Das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt hat nunmehr entschieden, dass eine Verfas­sungs­be­schwerde, welche sich gegen Urteile betref­fend die Verwer­tung von Encro­Chat-Daten rich­tete, unzu­lässig ist (Beschl. v. 09.08.2023, Az. 2 BvR 558/22). Sieben weitere, ähnlich gela­gerte Fälle, hat das BVerfG nicht zur Entschei­dung ange­nommen.

Das BVerfG entschied jedoch nicht grund­sätz­lich über die Nutzung und Verwert­bar­keit der Encro­Chat-Daten.

Das Gericht betonte inso­fern, dass über die verfas­sungs­recht­li­chen Fragen im Zusam­men­hang mit der Auswer­tung über­mit­telter Encro­Chat-Daten in der Sache weiter nicht entschieden sei. Fünf weitere Verfas­sungs­be­schwerden zur Frage der Verwert­bar­keit sind beim BVerfG derzeit noch anhängig. Außerdem hat zwischen­zeit­lich das LG Berlin dem EuGH vier­zehn Fragen vorge­legt.

Sollten Sie weitere Fragen haben oder Beschul­digter in einem Straf­ver­fahren oder Steu­er­ver­fahren (Steu­er­straf­ver­fahren) sein, so kontak­tieren Sie uns gerne.

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